Werkleitz Festival

31.5.–9.6. 2024

Filme

Florian Wüst
Kurator

Mähdrescher ernten Weizen, so weit das Auge reicht. Dieses einst stolze Bild der industrialisierten Landwirtschaft, die die Welternährung sichert, liest sich heute anders, zumindest ambivalenter. Ausgeräumte Landschaften stehen für den Rückgang von Biodiversität, Bodenerosion und Wassermangel. Der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie gehört zur Bewirtschaftung der Erde seit deren Intensivierung im 20. Jahrhundert, die den Maschinenpark ebenso wie Saatgut und Agrochemie mit einschließt. Liegt in der digitalen Zukunft der Landwirtschaft die ersehnte Lösung? Lassen sich regional funktionierende, nachhaltige Konzepte auch in großem Maßstab realisieren? Erschwerend kommt hinzu: Land ist eine begrenzte Ressource und damit attraktiv als Kapitalanlage und Spekulationsobjekt. Während der Boden immer unbezahlbarer wird, bleibt den Bäuer:innen der Marktpreis ihrer Produkte und nicht der Wert ihrer Arbeit. Dann lieber vollautomatisch Sonnenenergie ernten? In deutschen Supermärkten lockt unterdessen das normschöne Obst und Gemüse aus dem Plastikmeer von Almería.

Die tiefgreifenden Veränderungen der bäuerlichen Kultur porträtiert das Filmprogramm von Tank oder Teller mit einer Auswahl an künstlerischen und dokumentarischen Filmen und Fernsehbeiträgen. Die in der Festivalausstellung präsentierten Videos sowie die dreiteilige internationale Filmreihe im Zazie Kino spannen einen Bogen von beinahe 100 Jahren agrarischer und gesellschaftlicher Entwicklung.
Mit Filmen und Videos von Yves Allégret, Manfred Baier, Siegfried Bergmann, Gautam Bora, Arne Hector & Minze Tummescheit, Aline Juárez, Volker Koepp, Henrike Meyer, Barbara Musil, Peter Nestler & Kurt Ulrich, Sandra Schäfer, Eduard Schreiber, Carla Simón, Sónia Vaz Borges & Filipa César et al.

Fr. 31.5. – Fr. 14.6.

Filme in der Ausstellung

31.05.2024

Ödenwaldstetten

Ein Dorf ändert sein Gesicht: In Ödenwaldstetten dokumentieren Peter Nestler und Kurt Ulrich den sozialen und wirtschaftlichen Wandel der gleichnamigen Gemeinde auf der Schwäbischen Alb in den 1960er Jahren. Der im Auftrag des Südwestfunks entstandene Film lässt unterschiedliche Stimmen ungeglättet zu Wort kommen. Bauern erzählen vom landwirtschaftlichen Strukturwandel mit Zwang zu Mechanisierung und Massentierhaltung. Erste Gastarbeiter:innen arbeiten im Ort. Der Schulbetrieb verändert sich, obgleich dieser noch durch die saisonale Kinderarbeit während der Erntezeiten geprägt ist. Auch der Zweite Weltkrieg sowie die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung werden thematisiert. Das Neue begünstigt jedoch das Vergessen: „Was hinter einem liegt, ist gemäht“, heißt es an einer Stelle im Film.

Peter Nestler, Kurt Ulrich
BRD 1964, 36 min
deutsche Originalfassung

Um Jahrmillionen voraus

Der von der Gesellschaft für bildende Filme (GBF) produzierte BASF-Film Um Jahrmillionen voraus wurde ob seiner eindrucksvollen Bilder zur Insektenbiologie vielfach ausgezeichnet, 1976 für den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentar-Kurzfilm nominiert und über Jahrzehnte im Schulunterricht eingesetzt. „In Südamerika ist die Blattschneideameise ein gefürchteter Schädling, der Bäume entlaubt, Früchte und Blätter in Stücke zerschneidet, um diese dann in unterirdische Höhlen einzutragen und darauf einen Pilz zu kultivieren. Heute konzentriert sich die Forschung auf die Pilzgärten. Hier hatte die Natur bereits vor Millionen Jahren einen Weg eingeschlagen, den unsere moderne Landwirtschaft nun ebenfalls zu gehen gezwungen ist, den Weg zur Monokultur.” (Aus einem Datenblatt zu Um Jahrmillionen voraus)

Manfred Baier
BRD 1975, 26 min
deutsche Originalfassung

Ein Herbst im Ländchen Bärwalde

Etwa 20 Kilometer südöstlich von Jüterbog liegt der Weiler Bärwalde. Dort drehte Gautam Bora, in den frühen 1980er Jahren internationaler Student an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg (HFF), seinen Film über die drei Generationen der Bauernfamilie Balke. Die Familienmitglieder reflektieren die Arbeit in der LPG und das ungleiche Geschlechterverhältnis im Dorfalltag. Die Aufmerksamkeit, die Bora und sein Kameramann Marwan Salamah auf unscheinbare Details legen, verleiht Ein Herbst im Ländchen Bärwalde eine subtile Poetik. Immer wieder sind Hände, Gerätschaften und Erntegut zu sehen – Bilder, die ebenso eindrücklich vom Leben in Bärwalde erzählen wie die Interviews, die sie begleiten, und die Bora über Vergleiche mit seinem Heimatland Indien kommentiert.

Ein Herbst im Ländchen Bärwalde: Diplomfilm / Regie: Gautam Bora. - Potsdam: Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, 1983. Digitalisierung und Restaurierung der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, unterstützt durch das Förderprogramm Filmerbe, finanziert durch BKM, Länder und FFA. 2023 / 2024 im Auftrag der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf bei PHAROS - The Post Group in 4K Auflösung digitalisiert und restauriert.

Gautam Bora
DDR 1983, 29 min
deutsche Originalfassung mit englischen Untertiteln

Tiere des Bodens

„Je besser der Boden lebt, desto mehr Früchte trägt er.“ Wie Bakterien, Fadenwürmer und Pilze zusammenwirken, um Humus zu bilden, veranschaulicht Tiere des Bodens anhand mikroskopischer Aufnahmen und experimenteller Versuchsanordnungen. Darüberhinaus gibt der für das DDR-Fernsehen gedrehte Film praktische Hinweise zur Pflege eines gut durchlüfteten Bodens und damit zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit. Siegfried Bergmann begann 1959 seine über drei Jahrzehnte andauernde Tätigkeit in der Biologiefilm-Abteilung der DEFA. Er arbeitete eng mit seiner Frau Christine zusammen, die für viele Filme die Dramaturgie übernahm. Bei der DEFA angestellt, wurden die Bergmanns häufig vom Fernsehen beauftragt. Hierin mag begründet liegen, dass vergleichsweise kritische Filme zu den in der DDR lange verdeckt gehaltenen Themen Ökologie und Umwelt entstehen konnten.

Siegfried Bergmann
DDR 1987, 24 min
deutsche Originalfassung

Fictions and Futures #1

„Futures” sind an der Warenterminbörse gehandelte Verträge, die den zukünftigen Kauf oder Verkauf handfester Waren, wie zum Beispiel Edelmetalle oder landwirtschaftliche Erzeugnisse, zu einem heute vereinbarten Preis festlegen. In der Theorie dienen Futures als Absicherung gegen schwankende Rohstoffpreise. In der Praxis aber sind sie Wetten auf die Zukunft. Mit der Deregulierung der Finanzmärkte und der Einführung des elektronischen Handels wurde aus der Absicherung ein Massenprodukt. Wie von unsichtbarer Hand bestimmen Futures die Preise von Grundnahrungsmitteln und verstärken weltweit die industrielle Standardisierung der Landwirtschaft. Fictions and Futures #1 beleuchtet den so komplexen wie problematischen Zusammenhang zwischen Börsenspekulation, Lebensmittelproduktion und Bioengineering.

Arne Hector, Minze Tummescheit
DE/NO 2013, 30 min
englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Frutos de Resistencia

In der andalusischen Provinz Almería befindet sich die weltweit größte Ansammlung von Gewächshäusern. Zehntausende Arbeitsmigrant:innen, viele davon aus Nordafrika und Osteuropa, sorgen dafür, dass vor allem in Deutschland die Frischwarenregale gefüllt sind: Die Bundesrepublik importiert ein Drittel der Erzeugnisse aus Almería. Offiziell erhalten die Arbeiter:innen den gesetzlichen Mindestlohn bei 40 Wochenarbeitsstunden. Doch die Realität sieht anders aus. Frutos de Resistencia beschreibt die Alltagserfahrung von Ausgrenzung und Ausbeutung sowie den solidarischen Kampf um grundlegende Rechte in der industriellen Landwirtschaft. Der von den Interbrigadas produzierte Film entstand vor dem Hintergrund einer langjährigen Kooperation mit den Gewerkschaften Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT) und Sindicato de Obreros del Campo (SOC).

Aline Juárez
DE/ES 2023, 25 min
spanische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Into the Magnetic Fields

Welche Wellen und Signale laufen durch die hybriden Landschaften zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Brachland? Wer durchquert die Atmosphäre - bis hinauf ins Weltall? Wir sehen ferngesteuerte Maschinen, die die Landschaft bearbeiten, Zugvögel, die über Felder fliegen, Roboter, die menschliche Bewegungen imitieren. Wie wird das Verhältnis von Natur und Kultur in Zukunft aussehen? Sandra Schäfers jüngster Film Into the Magnetic Fields hinterfragt posthumane Produktionsweisen. Der Soundtrack besteht aus generierten Stimmen, die die feministische Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin, den Theoretiker Mark Fisher, die Künstlerin Lygia Clark und Interviews mit Förster:innen und Vogelforscher:innen zitieren, kombiniert mit Musik von Dominik Eulberg, Manuela Schininà, Maya Shenfeld und Tim Tetzner.

Sandra Schäfer
DE 2024, 14 min
englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Sa. 1.6. – Sa. 8.6.

Filmprogramm im Zazie Kino

01.06.2024
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)
Sa. 1.6.
20:00

Kurzfilmprogramm

Wert der Arbeit, Lohn der Bildung

01.06.2024 20:00
Zazie Kino
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Am Ende von Yves Allégrets Lehrfilm Prix et profits (la pomme de terre) aus dem Jahr 1931 treffen sich ein Bauer und ein Arbeiter am Stadtrand von Paris und schütteln sich in einer mehrere Sekunden langen Nahaufnahme die Hand. Das Bild steht für die Forderung nach der Solidarisierung der ausgebeuteten Klassen gegen das kapitalistische Markt- und Preissystem, das ungleiche Verhältnisse schafft. Der Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise kommt an der sozialen Frage nicht vorbei. Dies betrifft faire Produzentenpreise ebenso wie die Frage der Bezahlbarkeit gesunder Lebensmittel. Das Kurzfilmprogramm Wert der Arbeit, Lohn der Bildung unternimmt vor diesem Hintergrund eine Zeitreise von den links-progressiven Reformbestrebungen im Frankreich der 1930er Jahre bis zum heutigen Zugriff der globalen Finanzindustrie auf unerschlossenen Grund und Boden. Diesen so unsichtbaren wie abstrakt anmutenden Prozess visualisiert Barbara Musil in market sentiments (2007) am Beispiel des estnischen Grundstücksmarkts. Die Wirklichkeit der Landarbeit, der die jüngere Generation in der DDR der frühen 1980er das Leben in der Stadt vorzog, dokumentiert Eduard Schreiber in Ein Bauer und seine Frau. Die beiden hoffen auf die Enkelkinder für den Erhalt ihres Hofes. An die revolutionäre Praxis einer Bildung, die körperliches und geistiges Wissen vereint, erinnern Sónia Vaz Borges, Filipa César et al. in Mangrove School, einem Essayfilm über die nomadischen Schulen während des Unabhängigkeitskrieges in Guinea-Bissau in den 1960/70er Jahren.

Prix et profits (la pomme de terre)

01.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Prix et profits (la pomme de terre) beschreibt den Weg der Kartoffel von den bäuerlichen Produzent:innen bis zu den Konsument:innen der städtischen Arbeiterklasse. Jede Ebene des kapitalistischen Marktsystems wird enthüllt: Das Prinzip der Preissteigerung bewirkt an beiden Enden der Lebensmittellieferkette Ausbeutung, während die Zwischenhändler im Pariser Großmarktviertel Les Halles groß verdienen. Der Stummfilm ist die gemeinsame Arbeit von Filmemacher Yves Allégret, dem Dichter Jacques Prévert, der zusammen mit Michel Collinet das Drehbuch schrieb, und dem Kameramann Eli Lotar. Produziert wurde Prix et profits (la pomme de terre) von der Cinémathèque coopérative de l’enseignement laïc, einer Gruppe, die mit der reformpädagogischen Freinet-Bewegung in Verbindung stand, und Filme im 9,5 mm-Format an Schulen auf dem Land verlieh.

Yves Allégret
FR 1931, 18 min
französische Originalfassung mit deutschen Zwischentiteln

Ein Bauer und seine Frau

01.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Im Mittelpunkt des DEFA-Dokumentarfilms Ein Bauer und seine Frau steht ein älteres Ehepaar in einem Dorf im Harz. Vor der Kollektivierung waren sie Einzelbauern. Heute arbeitet die Frau als Brigadierin im Ferkelstall der LPG, der Mann, einst Vorsitzender der LPG, bleibt zu Hause, seine Gesundheit spielt nicht mehr mit. Am Wochenende kommen die Enkelkinder aus der Stadt zu Besuch. Die Großeltern wünschen sich, dass sie sich für ihren Hof und ihre Heimat, an der sie hängen, einmal interessieren. „Eduard Schreiber, der im Dokumentarfilm einen Seismographen der Wirklichkeit sieht, verbindet die dokumentierenden Bilder und Worte mit lyrischen, metaphorischen Einstellungen. Die Kamera verharrt auf Jahresringen von geschnittenem Holz. Manchmal gewinnen Alltagsbegebenheiten wie von selbst sinnbildhaften Charakter.“ (Elke Schieber)

Eduard Schreiber
DDR 1982, 21 min
deutsche Originalfassung

Mangrove School

01.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Während des Unabhängigkeitskampfes von Guinea-Bissau zwischen 1963 und 1974, der von dem Agraringenieur, politischen Organisator und Dichter Amílcar Cabral angeführt wurde, wurde ein ehrgeiziges Bildungsprogramm zur Bekämpfung der portugiesischen Kolonialmacht gestartet. Die Revolutionäre bauten mehr als 150 Schulen in den befreiten Gebieten, von denen mindestens eine im gezeitenabhängigen Mangrovenwald versteckt war und aus natürlichen Materialien gebaut wurde. Inspiriert von dieser Geschichte ist Mangrove School eine kollektive Fabulation, die von Sónia Vaz Borges und Filipa César zusammen mit der Malafo-Gemeinschaft in der guineischen Region Oio entwickelt wurde. Die tabellarischen Szenen und Off-Stimmen basieren auf gelebten Erfahrungen sowie auf einem dreiwöchigen Workshop. Der Film erörtert eine antikoloniale Pädagogik, die materiell und philosophisch von der ökologischen Umwelt geprägt ist.

Sónia Vaz Borges, Filipa César et al.
PT/FR/ES/GW/DE 2022, 35 min
portugiesische Originalfassung mit englischen Untertiteln

market sentiments

01.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Die grellroten und gelben Linien, die sich in Barbara Musils vierminütiger Animation über Satellitenbilder estnischer Landschaften schieben, beruhen auf tatsächlichen Katasterplänen verkaufter oder zum Verkauf stehender Flächen. Market Sentiment ist ein Fachbegriff aus der Wirtschaft, der eine vorherrschende Stimmung unter Investoren hinsichtlich der Erwartung steigender oder fallender Preise bezeichnet. In der ehemaligen, 1991 in die Selbstständigkeit entlassenen Sowjetrepublik Estland ist die Investitionsstimmung aufgrund marktliberaler Gesetze „euphorisch“. Immer schneller, in immer dichteren Mustern überziehen die Linien Wälder, Äcker und Wiesen, rhythmisiert durch die melancholische Musik von Arvo Pärt. Die Zerschneidung der Landschaft, die ihre Besitz-Werdung markiert, macht das Drängen eines abstrakten Marktes sichtbar.

Barbara Musil
EE/AT 2007, 4 min

Di. 4.6.
20:00
Langfilm

Alcarràs – Die letzte Ernte

04.06.2024 20:00
Zazie Kino
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Seit 80 Jahren baut die Familie Solés in Alcarràs, einem katalanischen Dorf unweit von Lleida, Pfirsiche an. In diesem Sommer versammelt sie sich zum letzten Mal zur gemeinsamen Ernte. Das Land hatte ihnen einst der Großgrundbesitzer Pinyol überlassen. Doch der junge Pinyol will vom Handschlag seines Großvaters nichts mehr wissen. Er fordert das Land zurück, um eine Photovoltaikanlage darauf zu errichten. Je näher das Ende des Sommers rückt, desto mehr nehmen die Spannungen in der Familie zu. Fast übersehen die Solés, dass sie einen Trumpf in Händen halten, den ihnen niemand nehmen kann.
Carla Simón drehte Alcarràs – Die letzte Ernte mit Laiendarsteller:innen aus der Gegend von Alcarràs, die eine starke Bindung zu Land und Boden haben und den besonderen Dialekt dieser Region sprechen. Simón selbst stammt von dort, auch ihre Familie lebt vom Obstanbau. Auf einzigartig vielstimmige, mit überbordender Energie und Momenten der Stille orchestrierte Weise erzählt Alcarràs von der letzten Ernte der Solés. In seiner Besprechung in der Süddeutschen Zeitung vergleicht Phlipp Stadelmaier den mit dem Goldenen Bär der Berlinale 2022 ausgezeichneten Film mit anderen berühmten Sommerfilmen, die die Vergänglichkeit der Zeit vermessen, brutale Veränderungen in der äußeren Welt diskutieren und Fragen von Erbe und Tradition verhandeln. „In Alcarràs hingegen gibt es lediglich das kollektive Schaffen von Erinnerungen, für jene Zeit, in der es die Welt der Pfirsiche nicht mehr geben wird.“

Carla Simón
ES/IT 2022, 120 min
katalanische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Sa. 8.6.
20:00

Kurzfilmprogramm

Vom Bauernhemd zum Blauzeug

08.06.2024 20:00
Zazie Kino
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Das Kurzfilmprogramm Vom Bauernhemd zum Blauzeug mit zwei Dokumentarfilmen und einem Ausschnitt aus einer Sendung des DDR-Fernsehens blickt auf die Entwicklung der ostdeutschen Landwirtschaft im zeitlichen Abstand von jeweils 20 Jahren. Im ausgestrahlten Diskussionsforum der agra 74 wird die industrielle Organisation der bäuerlichen Tätigkeit als Voraussetzung angeführt, um nicht nur moderne Technik optimal nutzen, sondern auch einen geregelten Arbeitstag bieten zu können. Die Umsetzung des Schichtsystems in der Landwirtschaft stellte aufgrund der Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion in DDR vor allem Familien vor große Herausforderungen, deren Mitglieder in beiden Bereichen arbeiteten. Nach der Wiedervereinigung veränderte die Auflösung der LPGs die wirtschaftlichen Perspektiven der Landbevölkerung auf einen Schlag, wie Volker Koepps Ein Landfilm von 1993 veranschaulicht. „Es gibt wieder Reichere und Ärmere,“ kommentiert Koepp den Unterschied, den es macht, einen eigenen Betrieb, wenn auch schuldenfinanziert, wiederaufbauen zu können oder nicht. Einen sehr persönlichen Blick wirft Henrike Meyer in ihrem Film Feldarbeit (2012) auf den Spargelhof ihres Vaters in Treuenbrietzen im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Der Wunsch der in Berlin lebenden Filmemacherin, mit dem Vater Zeit zu verbringen und ihm neu zu begegnen, steht in scharfer Konkurrenz zum Erntealltag, der längst nur noch mit Hilfe osteuropäischer Saisonarbeiter:innen zu bewerkstelligen ist.

Anschließend Publikumsgespräch mit Henrike Meyer, moderiert von Daniel Herrmann.

agra 74 ­– Forum

08.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Von 1950 bis 1990 fand die jährliche Landwirtschaftsausstellung der DDR in Markkleeberg südlich von Leipzig statt, ab 1967 firmierte diese unter dem Namen „agra“. Für sein agrarpolitisches Bildungsprogramm zeichnete das DDR-Fernsehen die Diskussionsveranstaltungen des agra-Forums auf. Der halbstündige Zusammenschnitt des agra-Forums 74, kombiniert mit Impressionen der Messe, wurde am 29. August 1974 ausgestrahlt. Das Gespräch widmete sich den Themen Schichtarbeit und Ertragssteigerung in der Landwirtschaft. Helmut Schiek vom Institut für Agrarökonomik vertritt dabei die Ansicht, dass nur ein industriemäßiger Schichteinsatz zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Land führt. Ferner müsste in intensivere Bodennutzung und höhere Arbeitsproduktivität investiert werden, um die Erträge steigern zu können.

DDR 1974, 5:30 min (Ausschnitt)
deutsche Originalfassung

Ein Landfilm

08.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Land Brandenburg: Die ostelbischen Junker mit ihren großen Gütern besaßen erhebliche Teile des Landes. 1946 gab es die Bodenreform in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, in den 1950er Jahren dann die „sozialistische Kollektivierung“ der Landwirtschaft. Heute ist Brandenburg ein „neues Bundesland“. Wieder ist die Bevölkerung mit großen Veränderungen konfrontiert. Volker Koepp porträtiert die Menschen in den Dörfern Häsen, Grüneberg und Bergsdorf im Löwenberger Land nördlich von Oranienburg und beschreibt die neuen Lebensumstände. Das Wort der Stunde lautet „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Ein Freizeitpark soll auf freier Wiese gebaut werden und wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Was bedeutet es heutzutage, Landwirt zu sein? Der Film sucht eine Antwort und notiert die Geschichten der Menschen.

Volker Koepp
DE 1993, 35 min
deutsche Originalfassung

Feldarbeit

08.06.2024 20:00
Kino Zazie
Kleine Ulrichstraße 22
06108 Halle (Saale)

Feldarbeit erzählt von einer Begegnung zwischen Vater und Tochter auf einem Spargelhof westlich von Berlin. In ruihigen, tastenden Bildern, zwischen den Polen direkter Dokumentation und Inszenierung, unternimmt Henrike Meyer den Versuch einer Annäherung, einer Versöhnung. Dabei führt sich die Filmemacherin selbst als Protagonistin ein, die ihren Vater während der Erntesaison begleitet, einer Zeit, die von Erschöpfung geprägt ist und keinen familiären Alltag zulässt. So handelt Feldarbeit auch von der tatsächlichen Arbeit auf dem Feld. Aus der Perspektive einer intimen Außenansicht vermittelt der Film Einblicke in die Produktion eines landwirtschaftlichen Großbetriebs, der mit Saisonkräften arbeitet. [...] Vater und Tochter, deren Lebenswelten unterschiedlicher nicht sein könnten, sind gezwungen, eine neue Sprache zu erfinden, um sich zu begegnen.“ (Franz Friedrich)

Henrike Meyer
DE 2012, 39 min
deutsche Originalfassung mit englischen Untertiteln